Veranstaltung: | Landesparteitag Schleswig-Holstein September 2022 |
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Tagesordnungspunkt: | 3. Anträge |
Antragsteller*in: | Landesvorstand der GRÜNEN JUGEND Schleswig Holstein und Tjark Johan Korthals (KV RD-ECK) (dort beschlossen am: 19.08.2022) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 20.08.2022, 23:57 |
A4: WM in Katar?! Nicht so und nicht mit uns!
Antragstext
Der Landesparteitag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schleswig-Holstein möge
beschließen:
Die Fußball-Weltmeisterschaft (WM) der Männer ist weltweit mit viel (medialer)
Aufmerksamkeit verbunden. Sportliche Megaevents wie die WM sind für autoritäre
Regime wie Katar ein Prestigeprojekt, um sich so positiv wie möglich
darzustellen und um gleichzeitig größere wirtschaftliche, finanzielle wie
politische Erfolge zu erzielen.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schleswig-Holstein weist auf diese Strategie hin und
kritisiert im Zusammenhang mit der WM in Katar...
1. Die strukturelle Ausbeutung von Arbeiter*innen
Die Ausbeutung von Arbeiter*innen ist essentiell dafür, dass es eine WM in Katar
überhaupt geben kann. Arbeitsmigrant*innen werden aus verschiedenen Ländern
angeworben vor dem Hintergrund, dass es Arbeitsplätze gibt und sie ihre Familie
ernähren müssen. Diese Notlage wird seit jeher ausgenutzt. Durch das Kafala-
System wurden und werden Arbeiter*innen in extreme Abhängigkeiten von den
Arbeitgeber*innen gebracht und Zwangsarbeit und Menschenhandel begünstigt.
Nach groß gefeierten Reformen in den vergangenen Jahren ist weiterhin zu
konstatieren, dass sich die Situation für die Arbeiter*innen nicht wesentlich
verbessert hat und die Reformen nur unzureichend durchgesetzt worden sind.
Dumpinglöhne, die darüber hinaus gar nicht, nicht ganz oder nicht rechtzeitig
gezahlt werden, Zahlungen seitens der Arbeiter*innen an die Arbeitgeber*innen,
um einen Arbeitsplatz zu bekommen (Anwerbekosten), einbehaltene Pässe, unwürdige
Unterbringungen und Arbeitsbedingungen sowie ein nicht ausreichender
Arbeitsschutz sind weiterhin die Realität. Seit der Vergabe der WM 2010 sind
mindestens 6.500 Arbeiter*innen im Kontext der WM und den dazugehörigen
Infrastrukturprojekten ums Leben gekommen. Das ist die traurige Konsequenz eines
ausbeuterischen Umgangs.
Bei all dem handelt es sich um eine - weiterhin existierende - Struktur der
Ausbeutung, die bekannt ist und oft kritisiert wird, aber ohne wirkliche
Konsequenzen bleibt. Als Organisation, die international solidarisch an der
Seite der Arbeiter*innen steht und sich global gegen die Ausbeutung dieser
einsetzt, ist ein mit Blutgeld finanziertes Megaevent wie diese WM als unwürdig
zu verurteilen.
2. Die Menschenrechtsverletzungen
Bei all diesen Problemen, beim unzureichenden Arbeitsschutz, bei nicht gezahlten
Löhnen, unwürdigen Unterbringungen und Arbeitsbedingungen, mehreren Tausend
Toten sowie Zwangsarbeit und Menschenhandel, handelt es um nichts weniger als
Menschenrechtsverletzungen. Darüber hinaus leiden die Arbeitsmigrant*innen unter
einer eingeschränkten Meinungs- und Pressefreiheit und können auf keinen
unabhängigen Rechtsstaat hoffen. Stattdessen unterdrücken katarische Behörden
jene Menschen, welche die Menschenrechtssituation kritisieren und die Missstände
öffentlich aufzeigen. In einem Land, in dem derartig viele
Menschenrechtsverletzungen vorherrschen, darf keine Weltmeisterschaft
stattfinden!
3. Diskriminierung
Auch wenn nach außen hin eine scheinbare Offenheit und Toleranz zu konstruieren
versucht wird, sieht die Lebensrealität queerer Menschen in Katar anders aus.
Die LGBTIQ+-Community wird in Katar unterdrückt. Queere Menschen werden
systematisch verfolgt und überwacht. Die derzeitigen Entwicklungen zeigen eine
drastische Verschlimmerung dieses Sachverhalts. Nach katarischem Gesetz drohen
außerdem für queere Menschen und das Ausleben ihrer geschlechtlichen wie
sexuellen Identität Strafen wie Auspeitschen, eine Inhaftierung oder die
Todesstrafe.
Auch Frauenrechte sind durch die männliche Vormundschaft stark eingeschränkt.
Dieses System ist diskriminierend und verwehrt es Frauen, ein unabhängiges Leben
zu führen. Sexuelle Gewalt wird ermöglicht, ein freies Leben eingeschränkt
Darüber hinaus sind die Arbeitsmigrant*innen von strukturellem Rassismus
betroffen. Arbeiter*innen werden hierbei aufgrund ihrer Herkunft und ihrer
Notlage benachteiligt und diskriminiert. Der Missbrauch und die Ausbeutung von
Arbeiter*innen ist hochgradig verwerflich und unter allen Umständen
inakzeptabel.
4. Das nicht vorhandene klimapolitische Bewusstsein
Aus klimapolitischer Perspektive ist die Ausführung der Weltmeisterschaft ein
Desaster und zeigt: auch im Sport existiert „Greenwashing“. Zum einen ist die
Vergabe der WM an das Land mit den höchsten CO2-Emissionen pro Kopf ein fatales
klimapolitisches Signal. Zum anderen werden die Aspekte der Klimakrise bei der
Planung nicht mitgedacht. Es werden acht neue supermoderne Stadien mit vielen
emmissionsintensiven Rohstoffen gebaut. Dazu werden diese während der WM
aufgrund der Hitze heruntergekühlt, womit ein extrem hoher Energiebedarf
einhergeht. Nach der WM haben die neugebauten Stadien keine Verwendung mehr.
Auch im Hinblick auf die Anreise der Fans gibt es keinerlei Idee einer
emissionsfreien Mobilität, obwohl gerade bei dieser WM der Großteil der Fans
nicht aus Katar selbst kommen wird und weite Wege zurückgelegt werden müssen.
Mit ökologischer Nachhaltigkeit oder klimapolitischem Ehrgeiz hat die WM in
Katar nichts zu tun!
5. Die Unfreiheit von Medien und die Abhängigkeit der Justiz
Die Medien werden durch das autoritäre Regime in Katar kontrolliert. Es findet
z.B. eine Zensur von queerfeministischen Inhalten sowie Personen statt, die sich
für die LGBTIQ+-Community einsetzen. Darüber hinaus werden Menschen wie Malcom
Bidali, Arbeiter aus Gambia, der öffentlich auf Arbeitsrechtsverletzungen
hingewiesen hat, oder der Whisteblower Abdullah Ibhais, politisch verfolgt,
inhaftiert und können auf keine fairen Prozesse hoffen – geschweige denn, dass
die Arbeitgeber*innen für ihre drastischen Verfehlungen zur Rechenschaft gezogen
werden. Eine unabhängige Justiz ist vor diesem Hintergrund nicht zu erkennen.
Letztlich ist es die PR-Strategie Katars, möglichst gut in der Welt dazustehen;
eine Strategie, in die Regimekritiker*innen nicht passen. Katar ist ein
autoritäres Regime, das auf illiberale Weise versucht, anschlussfähig an und für
liberale Demokratien zu wirken.
6. Eine weitere Kommerz-Weltmeisterschaft
Diese Weltmeisterschaft ist auch ein weiteres Beispiel für die Profitgier der
Fußballverbände. Anstatt diese ausbeuterischen Verhältnisse deutlich zu
thematisieren und entsprechende Konsequenzen umzusetzen, wurde weiterhin am
Austragungsort Katar festgehalten, obwohl viele andere Standorte bereits jetzt
mögliche Spielstätten hätten sein können und die notwendige Infrastruktur
bereitstellen. Die WM in Katar hat auch das Ziel, neue überwältigende Bilder zu
schaffen, die den Fußball nochmal spektakulärer erscheinen lassen, als er
ohnehin schon dargestellt wird. Die Spieler werden einmal mehr Prämien in
Millionenhöhe zu ihren ohnehin hoch dotierten Gehältern im Vereinsfußball
erhalten und Funktionär*innen freuen sich über gewaltige Einnahmen aus der
Übertragung der Spiele, während die Arbeiter*innen vor Ort einen winzigen
Bruchteil dieses Geldes bekommen. Diese WM wird auf dem Rücken der
Arbeitsmigrant*innen ausgetragen, um am Ende durch ihre Arbeit noch mehr Geld zu
verdienen, als es ohnehin schon im Fußball zu verdienen gibt. Diese Diskrepanz
ist vor dem Hintergrund der Menschenrechtsverletzungen nicht tolerierbar.
7. Die Verfehlungen der FIFA
Die WM-Vergabe nach Katar im Jahr 2010 war seitens der FIFA ein intransparentes
Verfahren. Denn die dramatischen Begleitumstände der WM in Katar waren schon
damals abzusehen. Trotzdem erhielt Katar den Zuschlag - ohne ein
Menschenrechtskonzept vorlegen zu müssen.
Seit 2010 bestehen im Zusammenhang mit der Vergabe problematische Gerüchte der
Korruption. Vor der Vergabe sind laut seriösen Medienberichten Bestechungsgelder
in Millionenhöhe geflossen.
Im Vergabeverfahren fehlen Mindeststandards für einen solidarischen Fußball.
Über die Bedürfnisse der Sportler*innen und Arbeiter*innen wird hinweggeschaut,
offensichtliche Menschenrechtsverletzungen werden ignoriert. Die Profitgier der
Funktionär*innen steht im Vordergrund. Das darf keine Grundlage für die
Austragung einer WM sein!
8. Den Umgang des DFB
Der DFB ist der größte nationale Mitgliedsverband der FIFA und der DFB ist ein
gemeinnütziger Verein. Der Verantwortung, die damit einhergeht, wird der DFB
nicht gerecht. Zwar gibt es Erklärungsschreiben mit dem Bekenntnis zu
Menschenrechten und auch eine Menschenrechtspolicy, jedoch gibt es keine
Anzeichen, dass es zu mehr als Worten kommt. Anstatt bei der FIFA Druck für
Reformen zu machen und sich in den letzten Jahren aktiv um die Belange der
Arbeitsmigrant*innen zu kümmern, strebte der DFB ein Sponsoring mit Qatar
Airways an. Es ist schlicht und ergreifend zynisch sowie verwerflich, dass Geld
wichtiger als das Wohlergeben von Menschen ist.
Und es nicht das erste Mal. Insbesondere vor dem Hintergrund dieser WM wirken
Kampagnen gegen Rassismus, Sexismus und Queerfeindlichkeit lediglich wie eine
Möglichkeit, die Marke Deutscher Fußballbund besser zu verkaufen. Katarische
Akteur*innen handeln entgegengesetzt und der DFB schreitet nicht ein. Auch
innerhalb des Verbandes ist keine merkliche Veränderung zu erkennen, die
notwendig wäre. Es sind keine Strukturen geschaffen worden, die diese Probleme
innerhalb des Verbandes als politische Probleme verstehen und entsprechend
adressieren. Bisherige Antworten waren nicht ausreichend, um Mechanismen der
strukturellen Diskriminierung aufzubrechen, von Diskriminierung betroffene
Spieler*innen nachhaltig zu unterstützen sowie zu fördern oder innerhalb der
Fußballkultur ein konsequentes Durchgreifen bei Fällen von Diskriminierung zu
etablieren. Das muss sich endlich ändern. Der Aufschrei nach z.B.
Rassismusvorfällen im Profifußball ist jedes Mal groß. Mehr als Worte sind aber
oft nicht wahrzunehmen - und das reicht nicht mehr. Es muss endlich Veränderung
her!
In der Praxis toleriert der DFB mit seiner Teilnahme die Vergabe der WM, die
Verfehlungen der FIFA, die WM selbst und alle damit einhergehenden Probleme. Die
Aufarbeitung, die stattfindet, ist unzureichend. Darüber hinaus widerspricht das
Handeln den – teilweise schriftlich – aufgestellten Kriterien, Werten und
Normen. Das muss endlich ein Ende finden.
Wir messen die WM in Katar nicht daran, was in Katar durch die WM scheinbar
möglich geworden ist, sondern was notwendig ist, damit Menschen ein gutes und
würdiges Leben haben und ein solches Megaevent kein klimapolitisches Desaster
wird. Das können wir uns nicht mehr leisten. Basierend auf diesen Problematiken
fordern BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schleswig-Holstein:
Eine Erklärung des DFB, wie sie die Teilnahme an dem Turnier aufarbeiten
möchten
Eine Erklärung der Nationalmannschaft, warum sie die Teilnahme an der WM
als vertretbar wahrnehmen
Eine konsequente Aufarbeitung des DFB, an welchen Stellen das eigene
Handeln Ausbeutung, Menschenrechtsverletzungen und/oder Diskriminierung
unterstützt und unterstützt hat sowie welche konkreten Maßnahmen der DFB –
zusammen mit UEFA und FIFA - dagegen unternehmen möchte.
Kein Sponsoring des DFB durch katarische Akteur*innen
Eine Entschädigung seitens der FIFA für Betroffene von
Menschenrechtsverletzungen oder ihre Hinterbliebenen
Ein Wiedergutmachungsfonds des DFB für Betroffene von
Menschenrechtsverletzungen und ihre Hinterbliebenden
Außerdem fordern wir alle dazu auf, die Fußball-WM der Männer in Katar zu
boykottieren, insbesondere Amts- und Mandatsträger*innen von BÜNDNIS 90/DIE
GRPÜNEN auf Landes-,Bundes- und Europaebene.
Begründung
Die Fußball-Weltmeisterschaft der Männer in Katar wird in der nächsten Zeit immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit geraten und vor dem Hintergrund der o.g. Problematiken diskutiert werden. Deswegen möchten wir hierzu eine klare Haltung - auch zu einzelnen Unterpunkten - entwickeln.
Zum Aufruf, die WM zu boykottieren, möchten wir vorwegnehmen, dass wir hier keiner Person verbieten möchten, diese WM zu schauen. Wir möchten aber als Organisation bzw. Gruppe von Menschen eine klare Haltung empfehlen und selbst als Vorbild dienen. Deswegen legen wir den Fokus auch nochmal auf Amts- und Mandatsträger*innen auf Landes-, Bundes- und Europaebene. Wir unterstellen keiner Person irgendwelchen bösen Intentionen, möchten aber die WM legitimierende Bilder vermeiden.
Unterstützer*innen
- Jona Tophinke (KV Herzogtum Lauenburg)
- Kurt Reuter (KV Stormarn)
- Stephan Wiese (KV Lübeck)
- Nils Tellert (KV Kiel)
- Johannes Engelmann (KV Kiel)
- Marcel Beutel (KV Ostholstein)
- Niklas Willma (KV Neumünster)
- Philipp Walter (KV Kiel)
- Vincent Schlotfeldt (KV Plön)
- Gazi Freitag (KV Kiel)
- Silke Schiller-Tobies (KV Kiel)
- Johanna Schierloh (KV Kiel)
- Jonathan Morsch (KV Berlin-Steglitz/Zehlendorf)
- Rebecca Morsch (BV Grüne Jugend)
- Momme Carstensen (KV Flensburg)
- Franz Fischer (KV Kiel)
- Louisa Wiethold (KV Kiel)
- Janine Blöhdorn (KV Kiel)
- Niklas Binder (KV Schleswig-Flensburg)
- Luc Richter (KV Kiel)
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